Digitale Barrierefreiheit & Künstliche Intelligenz

25.4.2025

Ria Weyprecht ist Gründerin und Inhaberin von stolperfrei.digital Consulting in Dresden. Sie ist seit über 20 Jahren in der Webentwicklung tätig und hat sich seit rund zehn Jahren auf digitale Barrierefreiheit spezialisiert. Mit stolperfrei.digital verfolgt Ria Weyprecht das Ziel, digitale Stolperfallen zu beseitigen und so die Teilhabe für alle Menschen zu verbessern – nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern für sämtliche Nutzergruppen.

Für die Suchmaschinen spielt Zugänglichkeit ebenfalls eine entscheidende Rolle. Denn können Inhalte nicht technisch erfasst werden, finden Sie auch im digitalen Kontext nicht statt. Daher freuen wir uns, dass wir Ria für ein Interview gewinnen konnten.

Barrierefreiheit von KI-basierten Suchtools

Hallo Ria, wie bewertest du die Barrierefreiheit aktueller KI-Tools und KI Suchmaschinen? Gibt es spezifische Herausforderungen für Menschen mit Einschränkungen und können assistive Technologien überhaupt alle Funktionen der KI Technologien nutzen?

Ria Weyprecht: Ich habe zwar nicht jedes einzelne KI-Tool auf Herz und Nieren geprüft, aber was ich aus der Community höre und auch selbst beobachte ist grundsätzlich positiv: Die großen, weit verbreiteten Tools wie ChatGPT oder Google Gemini sind in der Regel für Screenreader tauglich und mit Tastatur bedienbar. Das ist schon mal eine gute Grundlage.

Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Zum Beispiel gibt es bei der Nutzung mit Screenreadern manchmal Probleme mit nicht beschrifteten Buttons, verwirrenden Layouts oder nicht nachvollziehbaren Interaktionen, etwa in komplexeren Chatverläufen oder wenn mehrere Modi und Bedienelemente im Spiel sind. Auch CAPTCHA-Abfragen im Login können zum Problem werden.

Spannend ist aber auch, was KI im positiven Sinne leisten kann. Viele Sprachmodelle – also die typischen Chatbots – verhalten sich erstaunlich fehlertolerant. Anders als bei klassischen Suchmaschinen muss man keine perfekten Keywords oder präzise Formulierungen liefern. Stattdessen kann man in ganzen Sätzen schreiben, auch mit Rechtschreibfehlern oder in nicht ganz korrekter Grammatik. Das hilft zum Beispiel Menschen mit Lese- oder Schreibschwierigkeiten, mit Lernbehinderungen oder auch einfach mit wenig technischer Erfahrung. Denn mehr Kontext bedeutet auch: bessere Ergebnisse.

Das heißt: Während klassische Suchmaschinen oft unbarmherzig mit vagen oder fehlerhaften Eingaben umgehen, sind KI-Tools in vielen Fällen entspannter – zumindest was die Spracheingabe angeht. Das kann ein echter Vorteil sein, besonders für Menschen, die von klassischen Interfaces oft ausgeschlossen werden.

Und sind KI-Technologien deshalb auch inklusiv?

Ria Weyprecht: Nur weil viele der großen KI-Tools bei der technischen Barrierefreiheit inzwischen gut abschneiden, sind sie deshalb leider noch lange nicht inklusiv. Das Problem liegt tiefer: In den Trainingsdaten – und in der Funktionsweise der Modelle selbst. Große Sprachmodelle wie ChatGPT oder Bildgeneratoren wie DALL·E oder Midjourney erzeugen Inhalte auf Basis von Wahrscheinlichkeiten. Das heißt: Sie liefern das, was in den Daten am häufigsten vorkam – nicht unbedingt das, was gesellschaftlich wichtig oder repräsentativ wäre. Und hier fängt das Problem an.

Menschen mit Behinderungen, People of Color oder Frauen in männerdominierten Berufen kommen in den Trainingsdaten oft nur am Rand vor – wenn überhaupt. Denn diese Daten stammen nicht aus einer idealen Welt, sondern größtenteils aus dem Internet. Und das ist bekanntlich weder besonders divers noch klischeefrei. Ein Beispiel: Wenn ein bestimmtes körperliches Merkmal nur bei 10% der Bevölkerung vorkommt, wird ein KI-System es kaum „von selbst“ zeigen – es sei denn, man fragt explizit danach. Das kann dazu führen, dass ganze Gruppen einfach „unsichtbar“ bleiben.

Inklusion heißt aber: gesehen werden – ohne dass man darum bitten muss. Fragt man also 100 Mal nach einem beliebigen Menschen, sollten 10% der Bilder eigentlich dieses Feature zeigen. Kurz: KI kann barrierefrei sein – und trotzdem exkludierend. Wer echte Inklusion will, muss nicht nur auf Technik schauen, sondern auch auf Daten, Repräsentation und gesellschaftliche Vielfalt.

Welche Rolle spielen Standards wie WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) bei der Entwicklung und Optimierung für KI-Suchtools?

Ria Weyprecht: Die WCAG sind die Grundlage für barrierefreie digitale Angebote. Und ja, sie gelten natürlich auch für KI-Suchtools und Chatbots. Denn auch wenn die Technologie neu ist, die Anforderungen an Zugänglichkeit bleiben bestehen. Wer barrierefrei entwickeln will, kommt an den WCAG nicht vorbei. Ein besonders wichtiger Punkt: die Tastaturbedienbarkeit. Nutzer dürfen nicht gezwungen sein, mit der Maus zu arbeiten.

Aber es geht noch weiter: Screenreader-Kompatibilität ist essenziell. Gerade bei Chatbots oder interaktiven Such-Interfaces muss sichergestellt sein, dass neue Inhalte – also insbesondere die Antworten der KI – korrekt und vollständig ausgegeben werden. Live-Regions spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie helfen dem Screenreader, mitzubekommen, wenn neue Informationen auftauchen, ohne dass die Nutzer:innen erst mühsam danach suchen müssen.

Welche technischen Anforderungen müssen Webseiten erfüllen, damit sie von Large Language Models optimal erfasst werden können und gleichzeitig auch digital barrierefrei sind?

Ria Weyprecht: Was gut für Barrierefreiheit ist, hilft auch der KI und umgekehrt. Die technischen Anforderungen, damit Webseiten von LLMs wie ChatGPT oder Suchmaschinen-KIs gut erfasst werden können, unterscheiden sich kaum von denen für Barrierefreiheit und klassischer SEO.

Gute digitale Inhalte folgen eben denselben Grundprinzipien: klarstrukturiert, semantisch korrekt und maschinenlesbar.

Das heißt:

  • Texte gehören in echten Text, nicht als Teil von Bildern oder Grafiken.
  • Bilder brauchen Alternativtexte, damit Screenreader – und auch KI-Parser – verstehen, was dargestellt wird.
  • Überschriften strukturieren den Inhalt logisch, damit Nutzer (und Maschinen) schnell erfassen, worum es geht. Eine Website, die für Screenreader zugänglich ist, ist in der Regel auch für KI-Modelle gut auslesbar.

Das ist das Schöne an Barrierefreiheit: Sie macht Inhalte für alle zugänglicher – ob Mensch oder Maschine.

Wie wichtig sind strukturierte Daten, wie Schema Markup, für die Generative Engine Optimization (GEO)? Können diese auch die Barrierefreiheit verbessern?

Ria Weyprecht: Strukturierte Daten wie Schema Markup sind wichtig für GEO und SEO. Sie helfen KI-Systemen, Inhalte besser zu verstehen und gezielter darzustellen – z.B. in KI-Suchergebnissen oder Sprachassistenten. Ein Produkt ist ein Produkt, ein Event ein Event, beides wird ggf. anders verarbeitet und dargestellt.

Für die Barrierefreiheit sind sie kein offizieller Standard, aber über Umwege trotzdem nützlich: Sie machen Inhalte maschinenlesbar – und das könnten natürlich auch Screenreadern und assistiven Technologien nutzen. Außerdem: wenn ein Event auf der Website nicht nur optisch gestaltet, sondern auch im Code als Event ausgezeichnet ist, kann es auch in den eigenen barrierefreien Kalender übernommen werden.

Thema rechtlicher Rahmen für Barrierefreiheit und KI-basierte Technologien

Ab Juni 2025 gelten neue gesetzliche Vorgaben zur Barrierefreiheit im digitalen Bereich. Wie beeinflussen diese Regelungen die Arbeit im Webdevelopment, wenn es um die Inhaltserfassung durch Natural Language Processing und Large Language Models geht?

Ria Weyprecht: Ab Juni 2025 bringt das BFSG neue Anforderungen für digitale Angebote. Doch so spannend KI und Natural Language Processing auch sind – für unsere Arbeit im Bereich Barrierefreiheit zählt vor allem eins: der Mensch.

Die gesetzlichen Vorgaben zielen klar darauf ab, digitale Angebote für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Dass strukturierte, verständlich aufgebaute Inhalte auch von Large Language Models besser erfasst werden – klar, das ist ein schöner Nebeneffekt. Aber unser Fokus liegt auf echter Teilhabe: Inhalte müssen für Screenreader lesbar, mit der Tastatur bedienbar und logisch erfassbar sein. Nicht für Maschinen, sondern für Menschen.

Wie können Unternehmen sich auf die Kombination aus Generative Engine Optimization und Barrierefreiheit vorbereiten, um sowohl rechtliche Anforderungen als auch technologische Trends zu erfüllen?

Wer sich heute auf GEO vorbereiten will, sollte gar nicht so kompliziert denken. Konzentriert euch auf Barrierefreiheit – der Rest folgt fast von selbst. Denn was für Menschen gut nutzbar ist, wird auch von KI besser verstanden. Die Entwicklung zeigt es deutlich: Schon klassische Suchmaschinen haben in den letzten Jahren immer stärker auf echte Usability-Kriterien gesetzt – schnelle Ladezeiten, mobiloptimierte Seiten, klar strukturierte Inhalte statt versteckter Keywords.

Und genau das spielt auch der neuen KI-basierten Suche in die Karten. Barrierefreiheit heißt: klare Sprache, gute Struktur, logische Navigation, lesbare Texte. Das sind keine Extras, sondern Grundlagen – sowohl für gesetzliche Anforderungen ab 2025 als auch für technologische Trends wie GEO.

Welche weiteren innovativen Ansätze siehst du im Bereich KI-Technologien, um Menschen mit Behinderung den Zugang zu digitalen Inhalten noch einfacher zumachen?

Ria Weyprecht: Künstliche Intelligenz kann kein Ersatz für barrierefreies Webdesign sein – aber sie kann einspringen, wenn digitale Angebote ihren Job nicht machen. Genau da liegt ein enormes Potenzial: KI kann Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Inhalten erleichtern, indem sie Barrieren überwindet, die eigentlich gar nicht da sein dürften.

Automatisch generierte Bildbeschreibungen

KI-gestützte Tools können visuelle Inhalte erkennen und mit einem Alt-Text versehen – besonders hilfreich auf Seiten, auf denen solche Texte fehlen oder nur kryptisch sind. Für blinde und sehbehinderte Menschen kann das den Unterschied machen, ob ein Bild verständlich wird oder komplett unsichtbar bleibt. Sie ersetzen aber keine selbst geschriebenen Alternativtexte, denn sie können nicht vermitteln, welche Aussage der Autor eigentlich mit dem Bild erreichen wollte.

Komplexe Sprache in Leichte Sprache umwandeln

Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Sprachbarrieren oder Lernschwierigkeiten kann ein KI-gestützter Übersetzer Inhalte deutlich verständlicher machen – in Echtzeit, direkt auf der Seite. Aktuell ist die Qualität aber noch nicht so gut, dass sie eine professionelle Übersetzung ersetzen kann. Nicht zu vergessen: KI kann auch helfen, Barrieren zu erkennen. Immer mehr Tools nutzen maschinelles Lernen, um Webseiten automatisiert auf Barrierefreiheit zu testen – und Entwicklern direkt Verbesserungsvorschläge zu liefern. Aber Achtung: Sie testen nur auf einen Bruchteil der Anforderungen. Ein bestandener automatisierter Test macht noch keine barrierefreie Website. Es ist nur ein erster Schritt.

Liebe Ria, herzlichen Dank für die ausführlichen Erörterungen über die Barrierefreiheit im Netz und die Potenziale von KI-basierten Technologien für die Teilhabe aller User.

Ria Weyprecht
Autor*in

Ria Weyprecht ist seit über 20 Jahren in der Webentwicklung tätig und hat sich seit rund zehn Jahren auf digitale Barrierefreiheit spezialisiert. Nach ihrem Studium der Medieninformatik arbeitet sie als Entwicklerin von Websites, Online-Shops und browserbasierten Anwendungen und bringt dabei ihre umfangreiche Erfahrung in die Beratung und Umsetzung barrierefreier digitaler Lösungen ein.

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